Sie leben zusammen und sie forschen zusammen. Das Neurowissenschaftler-Ehepaar Susana Martinez-Conde und Stephen Macknik hat ein besonderes gemeinsames Steckenpferd: die Neuromagie. Das wortwörtlich zauberhafte Forschungsgebiet und ihre enge Zusammenarbeit erfordern eine besondere Partnerschaft.

Sie haben das Forschungsfeld der Neuromagie entwickelt, um aus den Tricks von Zauberern neue Erkenntnisse über Vorgänge in unserem Gehirn zu gewinnen. Wann ging es damit los?
MARTINEZ-CONDE 2008 haben wir einen Fachartikel über dieses neue Studienfeld zur Erforschung der neuronalen Grundlagen von Magie veröffentlicht, also warum Zaubertricks im Gehirn funktionieren. Uns ging es dabei auch darum, die gemeinsamen Interessen von Zauberern und Neurowissenschaftlern aufzuzeigen. Beide Professionen wollen den menschlichen Verstand und das Verhalten verstehen.

Was haben denn andere Neurowissenschaftler dazu gesagt?
MARTINEZ-CONDE Viele Kollegen waren zunächst überrascht, gaben dann aber zu, dass der Ansatz sehr sinnvoll ist, und fragten sich, warum nicht vorher schon jemand darauf gekommen ist. Das ist jetzt ein Jahrzehnt her, und obwohl sich Neuromagie seitdem stark entwickelt hat, ist es immer noch ein recht kleines Studiengebiet.

Und das Thema haben Sie gemeinsam als Partner entdeckt?
MACKNIK Ja, genau, wir hatten uns schon vorher eingehend mit Illusionen beschäftigt, etwa auf großen Konferenzen, wo es um visuelle Wahrnehmung ging. Später haben wir dann selbst eine Konferenz veranstaltet, zu der wir einen Wettbewerb für die beste visuelle Illusion ausgelobt hatten. Das ist einerseits wissenschaftlich interessant und andererseits für die Öffentlichkeit spannend. So gelang es uns, die Medien dafür zu begeistern. Es folgte noch eine Konferenz zum Thema Bewusstsein. Da die Konferenz in Las Vegas stattfand, wo es viele Zaubershows gibt, fiel uns auf, dass Zauberer ja eigentlich auch wahre Bewusstseinskünstler sind. Und so kamen wir darauf, ihre Erkenntnisse für die neurowissenschaftliche Forschung zu nutzen, da sie sich nun mal bestens mit dem Bewusstsein und der Aufmerksamkeit von Menschen auskennen. 2007 nahmen dann einige der besten Zauberkünstler der Welt an unserer Konferenz teil, zum Beispiel Apollo Robbins oder Mac King. Sie sprachen darüber, was an ihrem Beruf wissenschaftlich interessant sein könnte. Darüber schrieb die New York Times eine Titelgeschichte. Das hat letztlich den Stein ins Rollen gebracht.

Eye-Tracking-Test: Die Untersuchung von Augenbewegungen während der Präsentation von Bildern oder Videos ist ein typisches Forschungsgebiet des Wissenschaftlerpaares.

Was haben denn nun Trickdiebe im realen Leben und Zauberkünstler auf der Bühne gemeinsam? Sie widmen sich ja beiden Berufsgruppen.
MACKNIK Wenn es darum geht, jemandem etwas zu stehlen, verwenden Taschendiebe ähnliche Techniken wie Zauberer auf der Bühne. Sie verwirren einen oder leiten die Aufmerksamkeit mit einer Hand an eine bestimmte Stelle, während sie einem mit der anderen Hand etwas aus der Tasche ziehen. Wenn Sie U-Bahn fahren und sich jemand von einer Seite gegen Sie drückt, kann er Ihnen von der anderen Seite das Portemonnaie wegnehmen. Taschendiebe manipulieren also Ihre Aufmerksamkeit in einer ganz ähnlichen Weise wie Zauberkünstler mit gezielter Irreführung. Beide profitieren von der Tatsache, dass Menschen eine punktuelle Aufmerksamkeit haben. Wir achten immer nur auf eine einzige Sache.

Aber ein geschickter Taschendieb setzt ja nicht nur auf Ablenkung.
MACKNIK Genau. Ein Taschendieb setzt nicht nur auf Aufmerksamkeitsillusionen, sondern auch auf Adaption, die so funktionieren kann: Der Taschendieb drückt einmal fest auf die Armbanduhr, die Sie am Handgelenk tragen, und dann nimmt er sie Ihnen ab. Aber weil er Sie kurz zuvor an der Stelle berührt hat, denken Sie, die Uhr wäre noch da, weil Sie glauben, die Uhr noch zu spüren. Der Dieb aktiviert mit dem Druck die Neuronen in Ihrem Arm. Wenn der Druck nachlässt, erzeugen diese Neuronen ein Nachbild, wodurch Sie die Uhr noch wahrnehmen. Genau in diesem Moment sind Sie weniger empfindlich – und genau dann nimmt der Dieb Ihnen die Uhr vom Handgelenk, und Sie merken es nicht.

Warum gelingt es so leicht, uns in die Irre zu führen?
MARTINEZ-CONDE Wir dachten anfangs, dass das Hirn in dem Bereich aktiver ist, auf den es gerade seine Aufmerksamkeit richtet. Aber das stimmt so nicht. Es ist nicht aktiver, sondern alles andere wird unterdrückt. Deswegen fällt es uns nicht auf, wenn der Zauberkünstler eine Münze in seiner Hand verschwinden lässt, nachdem er die Aufmerksamkeit gerade auf seine andere Hand gelenkt hat. Wobei ein Magier einen im Grunde nicht ablenkt, sondern einen dazu bringt, sich sehr stark auf eine falsche Sache zu konzentrieren. Das ist wie geistiges Jiu-Jitsu: Die Kraft des Geistes eines Zuschauers richtet sich gegen ihn selbst.

Würde man Sie als Experten auch noch mit solchen Tricks hinters Licht führen können?
MACKNIK Ja, absolut! Wir haben zwar von Zauberern gehört, dass sie etwas traurig darüber waren, dass sie selbst diese Magie gar nicht so erleben können, wie das Publikum es tut. Ich glaube aber nicht, dass das so stimmt. Auch wenn man alle Tricks kennt und weiß, wie sie funktionieren, kann man trotzdem noch auf sie hereinfallen, denn viele Tricks arbeiten mit einer Kombination aus verschiedenen Methoden. Und wenn das der Zauberer gut macht, weiß man als Zuschauer nie genau, welche Methoden zum Einsatz gekommen sind. Ein Zauberer oder ein Neurowissenschaftler hat ja grundsätzlich kein besseres Gehirn. Genau wie bei dem Beispiel mit dem Taschendieb und der Armbanduhr funktioniert es auch bei Zauberern, die visuelle Nachbilder erzeugen und damit die Neuronen unserer Augen täuschen. Sie erleben das, wenn Sie mit Blitzlicht fotografiert werden. Dann sehen Sie den Blitz noch eine Weile, auch wenn er schon längst weg ist.

Das heißt, Ihr ganzes Wissen hilft Ihnen gar nicht im Moment der Illusion?
MACKNIK Interessant, dass Sie die Frage so stellen. Viele Leute kommen auf uns zu und meinen, Illusionen wären etwas Schlechtes. Aber wenn es etwas Schlechtes wäre, hätte die Evolution sie längst aussortiert. Die meisten Illusionen existieren, weil sie gut und überlebenswichtig sind.

MARTINEZ-CONDE Sie sind allein schon wichtig, um einfach die Straße entlanglaufen zu können. Ohne sie wäre unsere Wahrnehmung der Straße ganz seltsam. Erst durch die Illusion sieht es für uns normal aus. Sie müssen sich das so vorstellen, dass das Gehirn eine Reihe von Abkürzungen ausführt und immer wieder Abschätzungen vornimmt, basierend auf den Informationen, die wirklich verfügbar sind. Schließlich beeinflusst neurale Aktivität nicht unmittelbar unser Bewusstsein. Das Gehirn muss also dazu in der Lage sein, den Fortgang von Ereignissen zu prognostizieren. Dieser Mechanismus lässt es aber auch zu, das Gehirn geschickt zu täuschen.

Wie ist es, gemeinsam an solchen Fragestellungen zu arbeiten und gleichzeitig ein Paar zu sein?
MARTINEZ-CONDE Ich versuche, die Geschichte von Anfang an zu erzählen. Wir haben uns zum ersten Mal auf dem Logan Airport in Boston gesehen, als ich meine Stelle in dem Labor angetreten habe, wo Stephen schon arbeitete.

War das auch schon ein neuromagischer Moment für Sie beide?
MARTINEZ-CONDE(lacht) Wahrscheinlich war es das! Aber ich muss gestehen, dass ich am Anfang nur an eine Arbeitsbeziehung gedacht habe. Na ja, aber da wir zu dem Zeitpunkt die einzigen wissenschaftlichen Assistenten in dem Labor waren, lag es nahe, dass wir eng zusammenarbeiten würden. Außerdem hatten wir ähnliche Interessen, so wurden wir gute Freunde. Danach bewarben wir uns unabhängig voneinander auf wissenschaftliche Stellen in den USA und in Europa. Nur ein Institut in London wollte uns beide haben. Wir entschieden dann, gemeinsam dorthin zu gehen, um unsere gute Zusammenarbeit fortzusetzen. Als wir dann ein Paar wurden, haben wir uns tatsächlich darüber unterhalten, ob wir das Risiko eingehen sollen, eventuell unsere gute berufliche Zusammenarbeit damit zu gefährden oder komplizierter zu machen. Jetzt bin ich natürlich sehr froh darüber, dass wir dieses Risiko eingegangen sind.

Warum sind Sie gerade in London ein Paar geworden? Paris ist doch die Stadt der Liebe!
MACKNIK Na ja, in Paris ist man immer draußen, weil die Stadt so schön ist. Und in London verkriechen Sie sich, weil es immer nur regnet. Das kann durchaus förderlich sein für die Liebe. Schließlich haben wir in unserer Zeit in London auch geheiratet.

Über Arizona sind Sie inzwischen mit drei gemeinsamen Kindern in New York gelandet, da sie auch privat seit 17 Jahren ein Team sind.
MARTINEZ-CONDE Ja, wir sind jetzt beide an der State University von New York, wo jeder von uns ein eigenes Labor leitet. Trotzdem arbeiten wir weiterhin eng zusammen, weil viele Forschungsprojekte beide Labore betreffen.

Kinder und Karriere unter einen Hut bringen: Dafür haben Susana Martinez-Conde und Stephen Macknik einen ganz eigenen Partnerschaftsweg gefunden.

Was ist das Geheimnis Ihrer Partnerschaft? Ich nehme an, es gibt auch immer mal berufliche Konflikte.
MACKNIK Ich glaube, unser Geheimnis liegt in unserer persönlichen Beziehung. In der Wissenschaft ist es nicht unüblich, eine Zusammenarbeit zu pflegen, die über Jahre und Jahrzehnte läuft. Der Wissenschaftler, der uns an der Harvard Medical School ausgebildet hat, David Hubel, war ein Forschungspartner von Torsten Wiesel. Zusammen haben sie den Nobelpreis gewonnen, nachdem sie viele Jahre sehr eng zusammengearbeitet haben. Unsere berufliche Zusammenarbeit läuft deshalb so gut, weil unser persönliches Verhältnis gut funktioniert. Bei einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit ist es nur natürlich, dass einer mal mehr Erfolg hat als der andere. Bei uns war das auch so – mit dem Unterschied, dass wir es so verbuchen, dass Susanas Erfolg auch mein Erfolg ist. Und der Erfolg eines jeden von uns ist wiederum ein Erfolg für unsere Familie. Somit ist es nicht wichtig für uns, wer die größeren Ehrungen oder die größere Aufmerksamkeit bekommt in der Wissenschaft, denn wir teilen alles, egal was passiert.

MARTINEZ-CONDE Hinzu kommen die vielen Interessen, die wir teilen. Wir sind seit 17 Jahren ein Paar und seit 22 Jahren wissenschaftliche Partner, aber wir sind immer noch fasziniert von den Erkenntnissen des anderen. Und sei es nur, dass wir ins Kino gehen und uns danach über den Film unterhalten, das ist nach wie vor sehr anregend. Manchmal betrachten wir die Charaktere im Film aus einer neurowissenschaftlichen Perspektive ... Na ja, und als unsere Kinder auf die Welt kamen, haben wir ihre wichtigsten Entwicklungsschritte natürlich auch wissenschaftlich diskutiert. Und sogar jetzt, wo sie langsam das Teenageralter erreichen, lassen sich noch viele wissenschaftliche Erkenntnisse daheim live beobachten.

Und wenn Sie sich einmal beruflich streiten, gelingt es Ihnen, eine Grenze zum Privaten zu ziehen?
MARTINEZ-CONDE Na ja, das ist die Kehrseite. Wenn es sehr stressig ist im Job, weil vielleicht ein Experiment nicht so gut funktioniert, dann ist es sehr schwer, dies zu Hause auszublenden und sich ganz und gar aufs Familienleben zu konzentrieren. Umgekehrt ist es ja auch so. Aber ja, das ist eine Herausforderung. Letztlich sind wir dieselben Personen über den ganzen Tag hinweg. Das bringt unser stark miteinander verflochtenes Leben mit sich. Auf der anderen Seite hat es aber auch große Vorteile. Wir sind viel flexibler und können Arbeit und Privatleben letztlich besser vereinen.

Was würden Sie anderen Paaren raten, um lange glücklich zu bleiben?
MARTINEZ-CONDE Bei uns ist es so gewesen, dass wir beruflich immer auf derselben Hierarchieebene gearbeitet haben. Bei anderen Paaren, die auch beruflich zusammenarbeiten, entsteht leicht ein Ungleichgewicht, wenn sich einer von beiden auf einer viel höheren Karrierestufe befindet. Meistens ist das ja der Mann. Wir sind immer nur weitergezogen, wenn wir äquivalente Jobangebote hatten, sonst hätte letztlich einer seine Karriere für den anderen opfern müssen, um dem erfolgreicheren Partner zu folgen. Wir kamen nie in diese Lage, haben aber auch sehr darauf geachtet, gleichrangig zu bleiben, oder haben uns dahingehend unterstützt, dass der andere genauso schnell vorankommt mit seiner Karriere.

SUSANA MARTINEZ-CONDE

Geboren
1.Okt.1969
La Coruña, Spanien

Beruf
Neurowissenschaftlerin und Autorin

Professorin für Augenheilkunde, Neurologie und Physiologie & Pharmakologie am Downstate Medical Center der State University
of New York

Leiterin des Labors für integrative Neurowissenschaften

Besonderheiten
Hat 2008 gemeinsam mit Stephen Macknik das neue Forschungsfeld der Neuromagie entwickelt
 

STEPHEN MACKNIK

Geboren
9. Aug. 1968
Dayton, Ohio, USA

Beruf
Neurowissenschaftler und Autor

Professor für Augenheilkunde, Neurologie und Physiologie &
Pharmakologie am Downstate Medical Center der State University
of New York

Leiter des Labors für translationale Neurowissenschaften

Besonderheiten
Hat praktisch seine gesamte berufliche Karriere an der Seite seiner Partnerin Susana Martinez- Conde verbracht. Seit 17 Jahren sind die beiden auch privat eng liiert