"millionen Menschen
weltweit haben
uns dringend nötig"

Shai Reshef erfüllt einen alten Menschheitstraum: Mit der University of the People bietet er Menschen auf der ganzen Welt die Chance auf höhere Bil­dung – unabhängig von Einkommen, Status oder Wohnort. Sie wurde 2009 vom Bildungsunternehmer Shai Reshef gegründet. Ermöglicht haben seine studiengebührenfreie, gemein­nützige, akkreditierte Online-Universität mit Sitz in Kalifornien auch neue digitale Technologien wie die Cloud. Und sein eigener Mut, neue Wege zu gehen.

TÜV SÜD

Herr Reshef, da wir dieses Interview via Skype führen, erlebe ich Sie so wie Ihre Studenten, nämlich virtuell. Hat die ­University of the People überhaupt ein richtiges Büro?

SHAI RESHEF

Ja und nein. Wir haben ein Büro in Kalifornien, aber alle unsere Mitarbeiter auf der ganzen Welt arbeiten von zu Hause aus. Unsere Universität hat einen virtuellen Campus. In Kalifornien existiert eine Postadresse, an die unsere Studenten offizielle Dokumente schicken können, und es gibt Leute, die diese Dokumente abholen und sich um die Formalitäten kümmern. Das ist alles.

TÜV SÜD

Ganz schön schlank für eine Bildungseinrichtung, an der mittlerweile 12.000 Menschen studieren.

SHAI RESHEF

Ja, aber das ist Teil unseres Konzepts, auch, um unsere Kosten möglichst niedrig zu halten. Übrigens erwarten wir, im laufenden Jahr unsere Studentenzahlen zu ver­doppeln. Wir wachsen sehr schnell. Leider ist das immer noch viel zu wenig, denn Millionen Menschen auf der Welt hätten unsere virtuelle Universität bitter nötig.

TÜV SÜD

Aus welchen Ländern kommen Ihre Studenten?

SHAI RESHEF

Studenten aus mehr als 200 Ländern und Gebieten sind gegenwärtig an der Universität eingeschrieben. Aktuell sind rund 40 Prozent der Studierenden Amerikaner. Denn auch bei uns gibt es viele, die von der traditionellen Hochschulbildung ausgeschlossen sind – vor allem, weil sie die hohen Studiengebühren von durchschnittlich 15.000 Dollar pro Jahr plus die hohen Lebenshaltungskosten nicht aufbringen können. Unser Angebot ist zwar auch nicht völlig gratis, aber die Kosten halten sich mit 100 Dollar je ­Prüfung für den Bachelor-Abschluss und 200 Dollar je MBA-Prüfung doch sehr in Grenzen.

Ein komplettes Bachelor-Studium ist damit bereits für 4.000 Dollar möglich, ein MBA für ­2.400­ Dollar. Das ist in Afrika und einigen anderen Ländern natürlich immer noch viel Geld. Aber es ist in den meisten Fällen deutlich günstiger als jede Alternative. Für diejenigen, die sich diese moderaten Gebühren trotzdem nicht leisten können, bieten wir eine Anzahl von Stipendien, die diese Kosten kompensieren. Wir hatten schon Studenten, die den Vulkanausbruch auf Haiti erlebt haben, den Krieg in Ruanda oder den Tsunami in Asien. Aktuell studieren viele Flüchtlinge bei uns, allein 600 aus Syrien. Wir sind sehr froh, ihnen diese Möglichkeit bieten zu können.

TÜV SÜD

Können Sie sich an den ersten Studenten erinnern, den die University of the People im Jahr 2009 aufgenommen hat?

SHAI RESHEF

Selbstverständlich: Es war ein Student aus Kenia, der auf unserer Facebook-­Seite schrieb: „Heute habe ich mein Studium an der University of the People begonnen und ich fühle mich wie ein reicher amerikanischer Student, der eine richtige US-Universität besucht!“ Ich dachte mir damals, das allein war es schon wert, dieses Projekt ins Leben zu rufen. Fünf Jahre später hatten wir dann unsere ersten Absolventen – gerade einmal sieben Studenten aus­ ­Jordanien, Syrien, Nigeria und den USA. Inzwischen sind es 500 Absolventen. Viele davon haben einen festen Job gefunden, einige in den besten Unternehmen der Welt wie IBM, Apple oder Google.

Shai Reshef, Präsident der University of the People

Bildungschancen für Menschen aus aller Welt: Shai Reshef, Präsident der University of the People, sieht sich auf einer Mission.

SHAI RESHEF

Bildungs-Entrepreneur

Wohnort
New York
Beruf
Gründer und Präsident der University of the People

Shai Reshef blickt auf eine lange Karriere im Bildungsbereich zurück. Unter anderem leitete er von 1989 bis 2005 erst als Vorstandsvorsitzender und dann als Chairman eine große Bildungseinrichtung in den USA mit rund 50.000 Studenten jährlich. Daneben etablierte er die erste Online-Universität außerhalb der USA. 2009 gründete er schließlich die University of the People als Non-Profit-Organisation, an der aktuell mehr als 12.000 Studenten aus aller Welt online studieren.

University of the People

Die reine Online-Universität richtet sich an Menschen auf der ganzen Welt. Vorlesungssäle oder Präsenzpflichten gibt es nicht. Studenten können das gesamte Studienprogramm über das Internet absolvieren, um einen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre, Informatik oder Gesundheitswissenschaften zu machen. Die gemeinnützige Einrichtung mit Sitz in Pasadena (Kalifornien) ist vom United ­States Department of Education offiziell als Universität anerkannt. Wer ein Studium aufnehmen will, muss älter als 18 Jahre alt sein und fließend Englisch sprechen.

www.uopeople.edu

TÜV SÜD

Was war der Auslöser, vor neun Jahren diesen mutigen Schritt zu gehen und eine Non-Profit-Universität zu gründen?

SHAI RESHEF

Schon in den Jahren zuvor hatte ich als Geschäftsführer eines Bildungsunternehmens ein Online-Programm mit der Universität Liverpool auf die Beine gestellt. Damals merkte ich, wie wirkungsvoll digitale Technologien sein können: Man kann als Student irgendwo auf der Welt leben und sogar einem Job nachgehen – und trotzdem einen Uni-Abschluss machen. Leider waren diese Kurse für die meisten Menschen viel zu teuer. Mit Anfang 50 ging ich zurück nach New York und nahm mir vor, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, etwas, das einen bleibenden Einfluss hat. Wenn man einen Menschen ausbildet, kann man sein Leben verändern, wenn man 20 Leute ausbildet, kann man die Welt verändern.

TÜV SÜD

Mit der Gründung der University of the People haben Sie dann tatsächlich Neuland betreten.

SHAI RESHEF

Als wir mit den ersten Kursen anfingen, glaubte niemand, dass es möglich sein würde, eine Universität ohne Studiengebühren zu gründen, wenn nicht ein ganzes Land dahinterstehen würde. „Eine Universität kann niemals nur mit Freiwilligen funktionieren“, hieß es. Viele waren auch skeptisch, ob eine Uni ausschließlich online funktionieren könne. Inzwischen ­bieten praktisch alle Universitäten auch Online-Kurse an, somit waren wir eine Art Vorreiter.

TÜV SÜD

Wann war Ihnen klar, dass Ihre Idee funktionieren würde?

SHAI RESHEF

Ein Freund wies mich darauf hin, dass es Professoren gibt, die im Internet Studenten gratis ihre Hilfe anbieten, was ich erst gar nicht glauben konnte. Gleichzeitig existierten schon Open-Source-Software und Cloud-Technologie – also musste ich nur alles zusammenbringen.

Das erste Mal stellte ich mein Konzept der University of the People übrigens 2009 in München auf einer Konferenz vor. Am nächsten Tag veröffentlichte die New York Times einen großen Artikel darüber. Einen weiteren Tag später bekam ich Hunderte E-Mails von Professoren, die die Idee großartig fanden und mir ihre Hilfe anboten. Seitdem bin ich jeden Tag aufs Neue fasziniert davon, wie viel Wohlwollen es in der Welt gibt. Inzwischen machen rund 6.000 Professorinnen und Professoren von teils sehr renommierten Universitäten wie Oxford, ­Berkeley oder der New York University bei uns mit – und zwar ehrenamtlich.

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Wie funktioniert die University of the People technisch gesehen?

SHAI RESHEF

Wir arbeiten zu 100 Prozent cloudbasiert, alle unsere Anwendungen laufen dort. Das macht unser System in Kombination mit automatisierten Prozessen sehr kostengünstig und erlaubt es zudem, jederzeit schnell zu wachsen. Wir setzen dabei auf die größten und vertrauenswürdigsten Anbieter von Cloud-Services. Unsere Unterrichtsmaterialien sind als Open Educational Resources für unsere Studenten gratis zugänglich. Zudem nutzen wir die freie Lernplattform Moodle. Hier können Studenten ihre Arbeiten hochladen, mit dem Kursleiter kommunizieren und sich mit Kommilitonen vernetzen.

TÜV SÜD

Hatten Sie jemals Angst, zu scheitern? Immerhin hatten Sie vorher einen gut dotierten Job, den Sie aufgegeben haben.

SHAI RESHEF

Wenn man so ein Projekt mit voller Überzeugung startet, denkt man nicht an die Risiken. Man denkt nur daran, warum man genau diese Sachen machen möchte und was man dazu braucht. Ich hatte keine Ahnung, mit wie viel Unterstützung zu rechnen sein würde.

Ich wusste auch nicht, wie das Konzept bei den Studenten ankommen würde. Dass die University of the People heute so erfolgreich ist, macht mich sehr glücklich. Jetzt müssen wir weiter wachsen, um der Welt zu zeigen, dass es möglich ist, vielen Menschen einen Zugang zu höherer Bildung von guter Qualität und zu einem günstigen Preis zu ermöglichen. Das ist unsere Mission.